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Handwerk in vierter Generation

Wolfgang Thieme in Calbitz jetzt mit eigener Tischlerei

So eine kleine Tischlerei, in der ein Stuhlbein angestückt, ein Fenster repariert und ein Regalboden zurecht gesägt wird gibt es nicht mehr? Gibt es doch! Und zwar seit Anfang März in der Alten Schulstraße in Calbitz. Dort hat Wolfgang Thieme eine Tischlerei eröffnet. Der 55-Jährige startet mit seinem Ein-Mann-Betrieb in der Mitte des Lebens nochmal durch, beendet so selbst die Zeit der Arbeitslosigkeit und führt auch die Handwerks-Tradition seiner Familie weiter. tischler
„Schon mein Großvater war hier Handwerker, er hat 1898 als Stellmacher in der Werkstatt angefangen", erinnert sich Siegfried Thieme, der Vater des Tischlers. Vor ihm waren die Männer der Familie alle Stellmacher, Siegfried Thieme führte das Handwerk in dritter Generation bis 1991 fort. Sohn Wolfgang lernte dagegen Bautischler. „Mit der Stellmacherei hatte das keinen Sinn mehr", wissen beide. Wagenräder und andere landwirtschaftliche Geräte wurden immer seltener gebraucht. Nachdem die Werkstatt 20 Jahre verwaist war, rückt Wolfgang Thieme dort jetzt dem Holz mit Säge, Hobel, Hammer und Nagel zuleibe. Das freut auch alte Calbitzer wie den früheren Geschichtslehrer Siegfried Heidler. „Jetzt wird die Tradition fortgesetzt, und im Ort gibt es wieder etwas Neues", sagt der Nachbar.

Froh ist auch Wolfgang Thieme über seinen Start in die Selbstständigkeit. „Jetzt im Frühjahr geben die Leute Arbeiten in Auftrag, das läuft gut an", meint er. Dabei wolle er keine Konkurrenz zu bestehenden Handwerksfirmen in Calbitz sein. „Für Treppenbau oder ähnliches ist mein Betrieb zu klein. Ich übernehme Reparaturen, baue Fenster und Türen ein oder schneide Teile passend zu", beschreibt er. Von größeren Sonderanfertigungen bis zu neuen Banklatten erledigt Thieme seine Aufträge. Dazu bietet er auch Hausmeisterdienste und Grundstückspflege an.

In der Werkstatt selbst ist vieles noch wie zu alten Stellmacher-Zeiten. Zwar sind neue Werkzeuge und Maschinen da und die Wände frisch gestrichen. Aber ringsum spielt sich das Leben auf dem Land ab wie in der Generation zuvor: Das große Fenster gibt den Blick auf den Hühnerhof frei — und neben der Tür wird altes Brot als Tierfutter eingeweicht. Und wer zu Wolfgang Thieme in die Werkstatt will, muss erst durch die Gartenpforte. Die bleibt immer offen: „Damit die Leute wissen, dass ich da bin", sagt Wolfgang Thieme. (Quelle: OAZ vom 15. März 2011)